„Oper unterwegs“: Der Jäger Gracchus – die Reise nach Riva – Kafka und Neuwirth in der Expedit Halle der Ankerbrotfabrik
„Oper unterwegs“ zeigt in der wunderbaren Ankerbrot-Halle im 10. Wiener Bezirk ein Stück Theater von Franz Kafka mit Tonband-Zuspielungen von Olga Neuwirth. Die weitere Musik zum Stück liefern drei Alphörner. Konzept und Inszenierung dieser Dramatisierung sind von der Osttirolerin Helga Utz, die nach 16 Jahren Tätigkeit an der Staatsoper Stuttgart als Dramaturgin 2009 die „Oper unterwegs“ gründete und die im Vorjahr bereits „Undine geht“ (Musik: Olga Neuwirth) in einem fahrenden historischen Opernuraufführungszug inszenierte. Was Utz in der Dramatisierung mit großem Personal im Spielraum der Halle vor sich gehen lässt (Dauer weniger als eineinhalb Stunden) ist höchst virtuos und rätselhaft zugleich. Hingehen!
Und wie kommt man nach Riva? – Machen Sie sich darauf gefasst, dass Sie vor dem Betreten der Halle Eintrittskarten mit vierstelligen Nummern von 1001-9999 erhalten werden – kann das Spiel beginnen … Den Jäger Gracchus spielt Martin Hemmer, den Bürgermeister von Riva Christoph Leszczynski, beide großartig. Aber auch alle anderen. Ein Theater auf allen Ebenen, auch bloße Choreographie oft, Gestik, faszinierende Geräuschmusik der Gehenden, ihrer Schritte, der rauschenden weißen Falten der langen Kleider der Kinder von Riva, Fremdenführungen in fremden Sprachen, die Fremden machen Fotos und steigen auf Gracchus, den sie gar nicht zu sehen scheinen, gegen Ende ein feierliches Begräbnis mit Trauerzug und Blumenspenden aller Bewohner von Riva; die Alphornspieler, die man mit ihren Instrumenten sieht und die unermüdlich immer wieder schön auf ihnen blasen, haben Vogelköpfe ... Man will eigentlich gar nicht alles preisgeben, was den Zuschauer in der Ankerbrothalle erwartet.
Helga Utz über die Rolle der Musik, für die Olga Neuwirth einen Kompositionsauftrag erhielt: Die Musik sei es, die als einzige die Geheimnisse dieses ganzen Geschehens und der Worte „versteht“. „Es sind Kafkas rätselhafte Worte, die dem Grauen einen unbestimmten Sog verleihen, weil wir uns durch ihn verstanden fühlen, ohne dass man es genau benennen könnte. Jeder fühlt sich von Kafka verstanden, aber an Kafka gleitet das Verständnis ab wie Regenwasser an Schwertlilienblättern; die verstehenden Worte ragen nach ihrem Konsum genauso kristallen jungfräulich in den kalten Nachthimmel, wie Kafka sie geschrieben hat. Der Jäger wird sich Riva entziehen, dem mehltauigen Frieden, dem kümmernden Dasein. Er wird sich entziehen auf geheimnisvolle Weise, er, der Fehlerhafte, der Ausgestoßene, der Hinausgeschleuderte. Sein Geheimnis versteht nur die Musik, die ihn mit sich nimmt, die er mit sich nimmt, die uns zurücklässt am Ufer, am Land, an einem Land, nach dem wir uns nie gesehnt haben.“
Kafka, ein Genie des Verrückten
OPER UNTERWEGS präsentiert „Der Jäger Gracchus“. Vom 27.06 bis 03.07 ist das Stück in der Expedithalle der hundertjährigen Ankerbrotfabrik zu bestaunen.
Was erwartet man von einer Theateraufführung, die sich von einer Erzählung Franz Kafkas ableitet? Viele kennen Werke wie „Die Verwandlung“ oder „Der Prozess“ und wissen, dass dieser Autor vor allem Geschichten jenseits der Realität verfasst hat. Die Besucher sind somit bereits auf einen eigenartigen Abend gefasst, und doch schafft es die Inszenierung, jede Vorstellung zu überbieten.
Schon die Eintrittskarte zu „Der Jäger Gracchus“ erweckt Neugier. Das Ticket ist mit einer vierstelligen Zahl versehen, die von einer unbekannten Stimme willkürlich aufgerufen wird und somit jedem individuell den Eintritt gewährt. Manche sitzen belustigt, andere nervös oder auch einfach nur gespannt in einem Vorraum. Jeder Besucher tritt einzeln hinter die Kulisse ins Ungewisse. Man bahnt sich seinen Weg durch eine andersartige Welt. Von Raum zu Raum begegnet man neuer Faszination, seien es die Darsteller, die durch kleine Taschenlampen, Handbewegungen oder Geflüster jedem einzeln die Richtung weisen oder der Duft der imposanten Tannen, welche Teil des Bühnenbildes sind. Man wird von einem Ober an eine riesige Tafel geführt, wo etwa 120 Besucher innerhalb kurzer Zeitintervalle Platz nehmen. Nachdem das Publikum perfekt eingestimmt ist, beginnt „Der Jäger Gracchus“.
Die herrschende Stille wird durch Mädchengekicher unterbrochen. Sieben feenartige Gestalten spielen in ihren aus Papier angefertigten Kleidern. Sie setzen sich vorübergehend zu den Zusehern an die Tafel. Doch sind sie unerwünschte Geschöpfe in der Gesellschaft und werden permanent von den Erwachsenen verscheucht.
Der Jäger Gracchus tritt auf die Bühne, suchend blickt er um sich. Bis er vom Bürgermeister entdeckt wird, welcher ihn bereits erwartet hat. Dass ein Toter ihn besuchen käme, wurde ihm zuvor schon von einer Taube angekündigt. Doch will er noch mal aus dessen Mund erfahren, wie seine existentielle Situation tatsächlich aussieht. So antwortet ihm der Jäger Gracchus: „Vor vielen Jahren, es müssen aber ungemein viel Jahre sein, stürzte ich im Schwarzwald - das ist in Deutschland - von einem Felsen, als ich eine Gemse verfolgte. Seitdem bin ich tot.“ Jedoch hat sich sein Kahn, der in ursprünglich ins Jenseits bringen sollte, verirrt und seitdem befährt er stattdessen die irdischen Gewässer.
„Der Jäger Gracchus“ erzählt von Lebenden, die innerlich Tod sind, und von einem Toten, der hellauf lebendig wirkt. Er leidet unter dem Umstand, dass er nie zur Ruhe kommt, weder im Jenseits noch im Diesseits angekommen bzw. geblieben ist. Der Handlungsort ist Riva, in dem die Einwohner wenig hinterfragen, sonder einfach nur existieren und das Leben hinnehmen ohne Ausschweifungen aus der gewöhnlichen Norm.
Inszeniert wurde „Der Jäger Gracchus“ von Helga Utz, die 2009 die OPER UNTERWEGS gründete. Ihre Liebe zum Detail ist in „Der Jäger Gracchus“ förmlich zu spüren. Die Schauspieler zeigen Meisterleistungen. Vor allem glänzt der junge Martin Hemmer in der Hauptrolle als Jäger Gracchus. Leidenschaftlich spielt er diesen und lässt keine Zweifel an den Höllenqualen, die er durchlebt, beim Besucher entstehen. Auch Jan Konieczny spielt seine Rolle des Kahnführers ausgezeichnet. Passend zur Atmosphäre des Stückes wurde von Olga Neuwirth die untermalende Musik komponiert.
Eine wunderschöne Aufführung, obwohl manche Fragen durch die Inszenierung unbeantwortet bleiben. Ein Beispiel dafür ist, dass fast alle Frauen, bis auf die Kinder und die vorkommenden Touristen, schwanger sind. Doch bleibt offen, welche tiefere Bedeutung sich dahinter verbirgt. Aber auch der Sinn von den Touristenführern, die in fremden Sprachen durch den Wald führen, wobei dem Wald wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird, bleibt reine Interpretation. Das Szenarium der Touristenführer ereignet sich gegen Anfang und zum Schluss hin noch einmal. Bei der zweiten Führung ist sowohl der Text als auch jede Handbewegung dieselbe, doch zwischen dem für den Zuseher unverständlichen Gebrabbel wird plötzlich das Wort „Gerechtigkeit“ eingefügt. „Der Jäger Gracchus“ lässt unendlich viel Raum zur Eigeninterpretation, was einerseits die Phantasie anregt, doch andererseits Verwirrung hinterlässt.
ik
PRESSEINFORMATION „DER JÄGER GRACCHUS“
URAUFFÜHRUNG
(Wien, 31.5.2010) Nach der spektakulären Produktion „Undine geht“ in einer historischen S-Bahn bringt die 2009 gegründete „Oper unterwegs“ ein neues Stück heraus. Thema ist die schmale, ungemein eindrückliche Erzählung „Der Jäger Gracchus“ von Franz Kafka. Die österreichische Komponistin Olga Neuwirth, die 2010 den Österreichischen Staatspreis erhielt, trägt Musikstücke bei, die nur vom Band kommen. Für die Soundeffekte zeichnet Jörg Behrens verantwortlich und für die Musik, die live aufgeführt wird, wurden drei Alphornisten verpflichtet.
Spielort ist die historische Expedithalle der Ankerbrotfabrik in Favoriten. Diese Halle hat riesige Ausmaße (45 mal 50 Meter), verfügt über eine eindrucksvolle freitragende Eisenträgerkonstruktion und über weite Teile noch über das historische Stöcklp!aster. Einst hielt es das Getrappel der Pferdefuhrwerke aus, die hier täglich 150 Tonnen Brot abholten, heute sorgt es für die gute Akustik. Ob die Expedithalle das Ziel der endlosen Fahrt des Jägers sein kann, wird sich herausstellen. Jedenfalls landet der Jäger dort an, täglich vom 26. Juni bis zum 3. Juli um 21 Uhr. Karten ab sofort erhältlich 19 €, übliche Ermäßigungen 12 €. Alle Informationen finden Sie unter: www.oper-unterwegs.at
Spielort
Expedithalle der Anker-Brotfabrik, X. Bezirk, Puchsbaumgasse 1. Erreichbar mit der Straßenbahn Linie 6 bis Absberggasse oder mit der U1 bis Reumannplatz.
Pressekarten und Informationen
Zenzi Kaltenbacher, OPER UNTERWEGS Public Relations,
Telefon 0664.493 425 8, eMail info@oper-unterwegs.at Sie sind herzlich zu einer Probe eingeladen: Donnerstag, 24. Juni 19 Uhr. Gerne können Sie da Aufnahmen machen.
Print- & Online-Banner für Ihre Artikel finden sie im Downloadbereich. Dort finden sie auch kurz vor der Premiere Szenenbilder zum Der Jäger Gracchus und schon jetzt begleitendes Bildmaterial.
Szenenbilder der letzten Produktion Undine geht finden Sie hier als Download, PDF-Datei (1,7 MB).