Dass auch anspruchsvolle Projekte sich der sinnenfrohen Erfahrung nicht verschließen müssen, ohne einer von Einfaltquoten bestimmten «Culture light» auf den Leim zu gehen, bewiesen in diesem Sommer zwei Projekte der freien Wiener Musiktheaterszene. «Undine geht» etwa, die theatralische Aktion der neu gegründeten «Oper unterwegs» von Helga Utz (früher Dramaturgin an Klaus Zeheleins Stuttgarter Oper) nach einem Text von Ingeborg Bachmann mit Musikzuspielungen von Olga Neuwirth. Dem Titel von Bachmanns Erzählung ist der Abschied, das Weggehen eingeschrieben, und so wählte man einen historischen Schnellbahnzug aus den 1960er Jahren zum Schauplatz, der während der Spieldauer von etwa eineinhalb Stunden Strecken in und um Wien befuhr. Bachmann greift die literarische Figur der Wassernymphe auf, die in der Liebe zu einem Menschen glücklos bleibt. Dabei lässt sie uns teilhaben an Undines ambivalenter, zwischen Nähe und Abstand, Sehnsucht und Abscheu changierender Gefühlswelt.
Ziel ihrer luziden Analyse ist «Hans», dessen mühsam bewahrte Individualität sich durch seine auffallende Ähnlichkeit mit allen anderen Hänsen ad absurdum führt (wobei die Namenswahl durch Bachmanns Beziehung zum Autor und Kritiker Hans Weigel in besonderes Licht gerät). Für diese Hänse und ihre willigen, zu «Musen und Tragtieren» (Bachmann) degradierten Frauen findet Helga Utz, zugleich Regisseurin dieser Aktion, bündige, zwischen Alltag und Surrealem pendelnde Bilder, die von einer engagierten Darstellerriege in kleinen Szenen im Zug und auf den durchfahrenen Bahnhöfen der Vorortlinie abgewickelt werden: die Hänse im Streit mit ihren Ehefrauen oder aber in Aquarien ersaufend bzw. sich ihr Grab schaufelnd. Wasser als Undines Element ist schon in der ersten Szene am Bahnhof Heiligenstadt gegenwärtig, da drei (Ehe-)Frauen mit Turmfrisuren sich telefonisch über Überschwemmungen in ihren Wohnungen beschweren. Olga Neuwirths Musik füllt jene Momente, in denen in Bachmanns Erzählung (die während der ganzen Fahrt über den Zuglautsprecher mitläuft) die Zeit zum Stillstand kommt und ein «Ruf von weither» hörbar wird, ein «Muschelton», eine «Windfanfare», mit zarten, wellenhaft changierenden Klanggebilden atmosphärisch aus.
„Undine geht“ - Surreale Wasser-Reise zwischen Bachmann und Neuwirth.
Utl.: Neues Projekt „Oper unterwegs“ bespielt alte S-Bahn - Bejubelte Uraufführung der Auftragskomposition von Olga Neuwirth zu Bachmann-Erzählung. (Von Sonja Harter/APA)
Wien (APA) - Der Regen prasselt auf den Bahnsteig von Gleis 5, Windstöße fahren in die kunstvollen Hochfrisuren dreier Schauspielerinnen, ein Stöckelschuh bleibt im Abflussgitter stecken: Unschlüssig und frierend beobachten Publikum und Passanten die ersten Szenen der Uraufführung von "Undine geht" am Bahnhof Heiligenstadt, wo die neu gegründete "Oper unterwegs" am Freitagabend zum Aufbruch zu einer 70-minütigen S-Bahn-Fahrt durch Wien geladen hat. Schon in diesen ersten Minuten, in denen noch kein Wort Ingeborg Bachmann und kein Ton Olga Neuwirth zu hören ist, entfaltet das Projekt seine Faszination: Was ist inszeniert, was Zufall?
Das Wetter hätte nicht passender sein können: Während die Premierenbesucher in der geheizten Garnitur eines historischen Schnellbahnzuges aus den 60er Jahren Platz genommen haben, dröhnt nicht nur aus den Lautsprechern sphärisches Unterwasserrauschen, auch draußen liefert sich der Himmel einen Kampf zwischen gleißendem Sonnenuntergang und Weltuntergangsregenstimmung. Und wenn zu diesen ersten zarten Klängen von Komponistin Olga Neuwirth noch munter getratscht wird, zieht das Geschehen die Reisenden bald in einen starken Bann: Aus den Lautsprechern dringt die zerbrechlich, aber eindringlich vorgetragene Bachmann-Erzählung "Undine geht", der Zug setzt sich ruckend, bald gleitend in Bewegung und entführt auf eine Reise rund um Wien, die zwischen Einbildung, Realität und starken Theatermomenten schwebt.
Dass Neuwirths Komposition angesichts der geballten optischen Eindrücke in den Hintergrund rückt, ist schade, mag aber durchaus so geplant gewesen sein: "Dem Fahren untergeordnet" sei die Inszenierung von Text, Musik und Theaterszenen. "Undine als Inbegriff des unbehausten Wesens, das sich sehnt und fordert und leer ausgeht, gerufen wird, im Leben der Männer eindringt, einsteigt, ein Stück Weges mitgenommen wird und wieder weggehen muss, als Thema für eine ungewöhnliche Reise", heißt es in der Ankündigung. So sind auch Musik, Text und Spiel nur flüchtige Gäste, die genauso schnell verschwinden wie sie aufgetaucht sind.
Über Penzing, Speising und die stillgelegten Bahnhöfe Maxing und Oberlaa zum Verschiebebahnhof Kledering, über die Donauuferbahn, die sonst nur für Güterverkehr freigegeben ist, führt diese surreale Fahrt, die nicht nur an Haltestellen, sondern auch auf freier Strecke sonderbare Szenen bereithält: Sei es ein in einem mit Wasser gefüllten Glaskubus tauchender "Hans", eine Frau in einem zerschlissenen Segelboot, ein "Hans mit Moped" oder mehrere sich im Bikini auf dem Bahnsteig räkelnde Frauen: Nicht nur auf den Bahnhöfen zücken überraschte Reisende ihre Fotoapparate, auch im Waggon stürmen die Besucher immer wieder von Fenster zu Fenster, um keine Szene zu verpassen.
Unterdessen entwickelt sich Neuwirths anfangs eher belanglos dahinplätschernde Auftragskomposition stetig zu einem spannungsgeladenen, bedrückenden und komplexen Klangerlebnis, das sich mit den Geräuschen des Zuges vermischt. Drinnen wie draußen bilden sich unvermittelt Versatzstücke von Bachmanns Erzählung ab. Durch die Waggons stürmen nicht nur drei frustrierte Ehefrauen, sondern auch drei "Hans"- in Bachmanns Erzählung aus dem Jahr 1961 der Prototyp für die männliche Persönlichkeit. Als Undine schwebt Eva Sakalova barfuß und meist stumm und orientierungslos durch die Szenen.
Auch wenn diese Fahrt am Ende zwei Stunden statt der geplanten 70 Minuten gedauert hat: Das Konzept von Helga Utz und ihrer "Oper unterwegs" geht voll auf. Noch auf dem Heimweg hat man Neuwirths Klänge im Ohr, so manche - nun ganz reale - Szene wirkt wie ein verirrter Ausläufer des zuvor Erlebten. Langanhaltender Applaus für die sich im strömenden Regen (!) verbeugenden Schauspieler zeigt: Oper ist auch für unterwegs geeignet.
Sie hält was sie verspricht. Die neu gegründete „Oper unterwegs“ zeigt eine Inszenierung von Ingeborg Bachmanns „Undine geht“, in der man sich nicht nur im Kopf auf die Reise begibt. (Von Katja Kramp/Kulturwoche).
Endlich hat die ÖBB mal was richtig gemacht! Nämlich die Aufführung von "Undine geht" des Ensembles "Oper unterwegs" so zu unterstützen und zu fördern, dass sie überhaupt erst möglich geworden ist. Gespielt wird diese Bearbeitung von Ingeborg Bachmanns Text nämlich nicht auf einer herkömmlichen Bühne, sondern in und um eine fahrende Schnellbahn. Auch diese ist etwas Besonderes, denn man steigt nicht in einen hochmodernen Zug, sondern in die charakteristischen Waggons aus den 1960er Jahren.
Um 19 Uhr bricht der Zug vom Bahnhof Heiligenstadt auf in die abenteuerliche Reise durch den Text und rundum Wien. Das Stück beeindruckt als theatrale Inszenierung mit unterstützenden, musikalischen Elementen, komponiert von Olga Neuwirth. Bespielt werden nicht nur die Abteile, sondern auch die Bahnhöfe und Stationen, sowie immer wieder auch die Landschaft, die vorüberzieht. In "Undine geht" [aus dem Erzählungsband "Das dreißigste Jahr"; 1961; Anm.] kritisiert Bachmann die patriarchalischen Werte, die den Beziehungen zwischen Männern und Frauen zu Grunde liegen, sie zeigt die stereotypen Rollenklischees auf, in die besonders Frauen immer wieder gedrängt werden. Die Undine ist eine Sagengestalt, die im Wasser lebt. Sie besitzt keine Seele. Sie könnte eine erhalten, wenn sie mit einem treuen, sterblichen Mann ein Kind bekäme. Sie hat also den Drang aus ihrem Meeresumfeld aufzutauchen und sich mit einem Mann einzulassen. Scheitert diese Beziehung, so kehrt die Undine wieder ins Meer zurück und taucht ab bis sie das nächste Mal an Land geht. Und so wird "Undine geht" auch zum wiederkehrenden Zyklus, der sich in dem Motiv der Zugfahrt widerspiegelt. Wenn der Zug zum Schluss in den Bahnhof einfährt, dann ist es nur eine Frage der Zeit, wann er wieder aufbricht.
Diese Inszenierung ist auf jeden Fall ein Theatererlebnis der besonderen Art und für alle Bachmann-Freunde und solche, die es werden wollen, ein Muss. So sei den Kennern ihrer Texte und denen, die einen Einstieg in ihr Werk suchen gesagt, noch schnell auf den Zug aufzuspringen, denn "Undine geht" wird mehrmals täglich nur noch bis 2. Juni gespielt.
UNDINE GEHT von Ingeborg Bachmann. Musik: Olga Neuwirth
Premiere: 29. Mai 2009, besucht wurde die Vorstellung am 31. Mai 2009 um 13,45 Uhr (Renate Wagner/Der neue Merker)
Das Ganze ist vor allem eine Idee – ein wenig mit Eventcharakter, sicherlich ungewöhnlich durch und durch und vom Publikum offensichtlich sehr goutiert. Helga Utz, als Dramaturgin lange an den Opernhäusern Stuttgart und Darmstadt tätig, hat sich das Unternehmen „Oper unterwegs“ ausgedacht und offenbar die Bundesbahnen davon überzeugt, dass sich Ingeborg Bachmanns klassischer Text „Undine geht“ zusammen mit Musik von Olga Neuwirth und ein paar gespielten Szenen bestens machen würde, wenn man dies in rund Eindreiviertelstunden „fahrend“ präsentierte – die Begründung, das unbehauste Wesen Undine sei eben stets unterwegs, ist vielleicht ein wenig gewaltsam: Tatsache ist, dass die Produktion an sich und in sich überzeugt.
Ausgangspunkt: Bahnstein 5 in Heiligenstadt, offenbar ein totgelegtes Gleis. Man nehme einen alten ÖBB-Zug, nicht gerade luxuriös, ein williges Publikum, und schon geht’s los, noch am Bahnhof. Im Laufe der Begebenheiten kann man auch leicht enträtseln, was da zu Beginn geboten wird: Drei Damen (schrill in rosa-lila, gelb und hellblau, dazu riesige Perücken) schreien ins Telefon, dass es bei ihnen zuhause einen Wasserrohrbruch gibt. Drei Herren, an schwarz-roten Hemden zu erkennen, hören in ihren Radios intensiv Meldungen über Wasserstände. Haben die Zuschauer dann den Zug erklommen, dann kommt aus dem Lautsprecher eine Mischung aus Geräuschen und flirrenden Musiktönen – sie stammen von Olga Neuwirth und stellen keinerlei „Vertonung“ oder gar eine Art Musiktheater-Komposition dar: Die Musik bleibt in den nächsten eineinhalb Stunden Begleitung und Untermalung, als solche aber stimmungsstark und gewissermaßen nötig.
Zentrum des Gebotenen ist erstens der Text, Ingeborg Bachmanns „Undine geht“, faszinierend aus dem Lautsprecher tönend. Ist es dieselbe Eva Sakalova, die hier spricht und schweigend von Zeit zu Zeit durch den Zug geistert, mit langem Haar, bloßen Füßen und trotz des organgenen Wollkleides durch und durch nixenhaft? Der Bachmann-Text ist, wie man weiß und wieder hört, eines der berühmtesten Prosastücke der österreichischen Literatur, die 1961 geschriebene Abrechnung der Bachmann mit einem „Ungeheuer namens Hans“ (damit ist Hans Weigel in der Literaturgeschichte unsterblich geworden, dass er der originale Hans war…). Es ist ein fast analytische Abhandlung des Wissens der Frau um den Mann. Sie, die in ihrem Leben an vielen Beispielen das Schicksal der „Undine“ erlebt hat, der Geliebten, der Rätselhaften, der Anderen, die von außen kam und auf banale, verheiratete Männer traf, analysiert Beziehungen mit unendlicher Klarsichtigkeit, dabei nie banal und am Ende wunderbar poetisch.
Was die tatsächlich banalen Randerscheinungen jedes „Undine“-Schicksals sind, realisiert die Produktion amüsant an den drei „Ehefrauen“ (Josephine Fabian, Johanna Diemeyer, Susanne Litschauer), die man schon zu Beginn kennen gelernt hat, und drei dazu gehörigen „Hans“-Darstellern (Felix Jeiter, Martin Hemmer, Jan Konieczny), die immer wieder im Zug die banalen Szenen einer Ehe spielen – oder gelegentlich auch außerhalb des Zugs. Denn das Ganze, das auch in einem Theater stattfinden könnte, gewinnt den Charakter des absolut Besonderen durch die Tatsache, dass der Zug sich in Bewegung setzt. Er fährt von Heiligenstadt ohne Unterbrechung eine große Schleife rund um Wien – über Oberdöbling, Krottenbachstraße, Gersthof, Hernals, Ottakring, Breitensee. Die Dramaturgie ist meisterhaft: Wenn von Dunkelheit die Rede ist, fährt man durch einen Tunnel, rabenschwarz, nicht das kleinste Notlicht leuchtet. In Speising, wenn Undine verzweifelt: „Ihr Ungeheuer mit euren Frauen!“ ruft, rennen die Ehefrauen kreischend am Bahnsteig entlang. Man fährt über Oberlaa, Kledering, manches sind totgelegte Strecken, die längst nicht mehr befahren werden, und wenn der Tod in den Text kommt, blickt man nach draußen auf den Zentralfriedhof. Immer wieder erscheinen am Rand der Fahrt einzelne Figuren, meist irgendein kläglicher „Hans“, nur im Vorbeifahren kurz zu sehen.
Im übrigen ist Wien der Schauplatz, historische Bahnstationen und neue ziehen vorbei, die Stadt spielt mit, die Häuser mit überraschend vielen Gründerzeit- und Jugendstilfassaden, aber auch viel Grün. Es geht weiter über Simmering die Donauuferbahn, die man vermutlich nur im Rahmen dieses Unternehmens erleben kann, vorbei am Mexikoplatz und dem Handelskai, bis man nach fast eineinhalb Stunden wieder in Heiligenstadt ist, den Text der Bachmann so intensiv im Kopf, wie man es kaum für möglich halten würde. Hie und da hat die Neuwirth-Musik vom Band so etwas wie Eigencharakter gewonnen, aufgewühlte Gefühlszustände vermittelnd. Ein letztes Mal läuft Undine taumelnd durch den Zug. Ehefrauen und ihre Hans-Männer sind in Krisen erstarrt, nachdem sie die Kinder zu Bett gebracht (sprich: in den Gepäckfächern verstaut) haben. Eine irrwitzige Idee das Ganze. Und eine überzeugende.
Abfahrt - Pfingstsonntag 15.45 Uhr - Gleis 5 - Bahnhof Wien Heiligenstadt.
Beim Stiegenaufgang wartet bereits ein “Steward”. Doch ehe wir die Schnellbahn-Garnitur der 60er Jahre besteigen, beginnt der Schauspielreigen bereits am Bahnsteig - 3 Ehefrauen (für jedes Zugabteil eine) klagen ihr Leid - ein Wasserschaden. Hans (auch in dreifacher Ausführung) hört in seinem zwingerartigen Schrebergarten die aktuellen Wasserstände ab.
Dann kann die Reise beginnen! Wie bereits berichtet - gab es am Pfingstwochenende mehrmals die Gelegenheit einen Text von Ingeborg Bachmann und Musik von Olga Neuwirth bei UNDINE GEHT - Eine Reise mit dem Zug von “Oper unterwegs” zu erleben. Und eine Reise war es - mit dem Zug - und ein Erlebnis war es auch - mit neuen Einblicken ins Wiener Stadtgebiet und Umland.
Rezitiert wird der Bachmann Text “Undine geht” von einer verstörend, eindringlichen Stimme über im Zug montierte Boxen. Trotz der Abrechung mit dem “Mann als Ungeheuer” sorgt die Adaptierung im Zug für ein erstes Lächeln, wenn “das Monster” einfach nur als “Hans” tituliert wird - während die Schnellbahngarnitur am Kronen Zeitungs Gebäude vorbei rattert.
Es sind diese Eindrücke, die jeder Fahrgast selbst entdeckt, die von der ca. 2 stündigen Aufführung am stärksten im Gedächtnis verharren. So wird man im ersten Teil der Reise mit dem Text, sich selbst und der (fast zu verhaltenen) Neuwirth-Komposition etwas alleine gelassen - ehe die Inszenierung mit im Abteil gepielten Situationen und entlang der Strecke postierten Szenen Fahrt aufnimmt. Besonders die absurden Außen-Aktionen - eine Frau auf einem überdimensionalen Papierschiff - Hans in einem Wassertank - ein fahrendes Moped am Bahnsteig (was für ungläubige Blicke unbeteiligter Bahnreisender sorgt) - oder Hans der ein Grab aushebt - sorgen für ein Schmunzeln und einen erweiterten Blick. Stattdessen erzeugen die Szenen im Zug mit Direktheit und Nähe teilweise beklemmende Momente.
Während die Fahrt gen Süden von Wien voranschreitet, beginnen Landschaft, Text und Szenen miteinander zu verschwimmen - der Besucher wird - im wahrsten Sinn des Wortes - zum Passagier der selbst-inszenierten Geschichte und Gedanken. Die normalerweise nicht befahrenen Streckenteile - etwa entlang der Stadtgrenze, vorbei an Oberlaa zum riesigen Verschub-Gelände in Kledering oder die Fahrt zurück über die Donauufer-Bahn am Handelskai - werden zu einem besonderen Genuss - nicht nur für Kunst- sondern auch für Bahnliebhaber.
Nach der Reise rund um Wien und durch das eigene Empfinden kommt man etwas geschafft aber unglaublich bereichert wieder in Heiligenstadt an und spendet dem Ensemble und der dahintersteckenden Logistik den gebührenden Applaus. Ein gelungener Trip, bei dem der Musik noch etwas mehr Platz eingeräumt hätte werden können.
Wenn in der anschließenden Heimfahrt im D-Wagen der Wiener Straßenbahn eine kleine Kindergruppe zu singen beginnt, merkt man das die ganze Welt und Wien insbesondere eine Bühne ist.
In „Undine geht“ wird Theater im Zug und am Bahnsteig gespielt, Olga Neuwirth liefert die Musik. (Julia Schilly/der Standard)
Es beginnt in einer Telefonzelle am Bahnhof Heiligenstadt. Drei Frauen mit Turmfrisuren in rot, blond und schwarz telefonieren wegen eines Wasserschadens und trippeln danach aufgeregt über den Bahnsteig. Eine verträumte, junge Frau sitzt auf einer ausrangierten Zuggarnitur. Ein außergewöhnliches Theatererlebnis bietet die neugegründete "Oper unterwegs" mit ihrer ersten Produktion "Undine geht". Theater gespielt wird während einer Zugfahrt rund um Wien in einer historischen S-Bahn-Garnitur nach einem Text von Ingeborg Bachmann aus dem Jahr 1961. Die Musik von Olga Neuwirth kommt vom Band. Text, Musik, Theater und die Geräusche des Zugs bilden ein Ganzes.
Die Zuschauerplätze entsprechen den Sitzen in den Abteilen. In den ersten Minuten wird sphärische Musik der österreichischen Komponistin Olga Neuwirth eingespielt, die mit dem regelmäßigen Klopfen der Zugräder auf die Schienen seine hypnotische Wirkung verstärkt. "Wie weit ist es zu dir? Weit. Und weit ist es zu mir", ertönt Bachmanns der Welt entrückte Erzählung aus den Lautsprechern. Sie nimmt die ZuhörerInnen mit auf eine Reise unter Wasser zu Undine, eine Nixengestalt aus dem Mittelalter, während vor den Fenstern die Landschaft Wiens vorbei zieht. Undine hat keine Seele, sehnt sich aber danach und schließt sich deshalb einem Mann an, der ihr dazu verhelfen kann. Der Arzt Paracelsus hat noch "wissenschaftlich" über das Wasserwesen berichtet und Männern Ratschläge gegeben, deren Frauen Undinen sein könnten.
Pinguine, Motorräder, goldene Badehosen
"Oper unterwegs" bespielt öffentliche Räume. So findet die Handlung während der 70-minütigen Zugfahrt nicht nur innerhalb des Wagons statt. Die Grenzen zwischen realen Bildern und inszenierten Szenen lösen sich teilweise auf. Ein Mann scheint in einer Glasbox am Bahnsteig zu ertrinken, auf einem Feld in Liesing hebt ein anderer ein Grab aus, Pinguine stehen in einer Wiese, auf einem Bahnhof ist ein Darsteller mit dem Motorrad unterwegs. Als der Zug kurz stehen bleibt, klettert ein Schauspieler nur mit einer knappen, goldenen Badehose und Schwimmflossen bekleidet in das Abteil. Mitunter bleiben verwunderte PassantInnen auf den Bahnsteigen stehen.
Die S-Bahn-Garnitur 4030 aus den Sechzigerjahren befahrt von Heiligenstadt aus 29 Brücken und fünf Viadukte. Auf der Strecke liegen die historische Trasse der Vorortelinie von Otto Wagner und die Haltestelle Speising. Weiter geht es Richtung Kledering bis zur Donauuferbahn. Das Publikum fährt durch Hernals, Ottakring, Liesing und weitere Bezirke. Auf der sonst nur für Güterverkehr freigegebenen Strecke geht die Fahrt entlang der Donau über den Handelskai zurück nach Heiligenstadt.
Der Schmerzton
Text und Strecke ergänzen sich. "Eure Kinder, von euch zur Zukunft verdammt, die haben euch nicht den Tod gelehrt, sondern nur beigebracht kleinweise. Aber ich habe euch mit einem Blick gelehrt, wenn alles vollkommen, hell und rasend war - ich habe euch gesagt: Es ist der Tod darin", schrieb Bachmann in "Undine geht". Während dieser Zeilen fährt der Zug am Zentralfriedhof vorbei. Das Abteil versinkt minutenlang in der Finsternis eines Tunnels, dazu spricht die weibliche Erzählerin: "Wenn es dunkel ist in den Häusern, erheben sie sich heimlich, öffnen die Tür, lauschen den Gang hinunter, in den Garten, die Alleen hinunter, und nun hören sie es ganz deutlich: Den Schmerzton, den Ruf von weither, die geisterhafte Musik." Olga Neuwirth liefert dazu fragile Klänge, nahe an der Auflösung der musikalischen Struktur in eine Frequenzstörung.
Die Handlung wird durch die Inszenierung nicht chronologisch erzählt. Die Versatzstücke von Bachmanns Erzählung, Neuwirths Komposition und die DarstellerInnen außer- und innerhalb des Zugs erzählen die Geschichte der Undine in Schichten. Das schadet der Spannung des Stücks nicht, das Verschwommene fügt sich gut zum Text über das mythische Wasserwesen. Der Schlussapplaus findet dann wieder außerhalb des Zugs statt, die DarstellerInnen verbeugen sich am Bahnsteig.
Libretto di Ingeborg Bachmann, Prima rappresentazione: Vienna 29/May/2009 (Juri Giannini/giornaledellamusica.it)
Il pubblico si raccoglie alla testa del binario di una stazione. Segue una breve scena introduttiva che sfrutta al meglio le potenzialità offerte dal luogo, cabine telefoniche e ascensori inclusi. E poi tutti in carrozza, si parte: Undine geht, (Undine va, parte), questo il titolo di un peculiare esperimento di teatro (musicale) sviluppato dalla regista Helga Utz su un testo di Ingeborg Bachmann e musica di Olga Neuwirth. Sul programma di sala figura anche il nome del macchinista, e infatti lo spettacolo sarà a bordo di un treno metropolitano degli anni ’60, che per circa 90 minuti vagherà per la città. I temi del racconto della Bachmann (critica alla società patriarcale e problematica delle relazioni uomo-donna) non sono che un pretesto. I suoni elettronici della Neuwirth (che a volte si mischiano in maniera imprevedibile con i rumori del treno e del movimento), i collage surreali di scene che dentro il treno accompagnano il pubblico, o che da fuori en passant e inaspettati lo sorprendono, creano polifonie di spazi e movimenti che invitano e spingono a una percezione altra. È un’esperienza di forte impatto, avvincente e stimolante fino alla fine, trovarsi in un treno in corsa a guardare le cose e i luoghi conosciuti e “sconosciuti” come mai prima si era fatto. E in questo il progetto è ben riuscito. È un teatro musicale privo di canto, con gli attori che salgono e scendono durante la corsa, che vagano tra i vagoni, che si ritrovano all’improvviso nello spazio urbano e si lasciano intravedere dai finestrini. È un’impresa di cordinazione non da poco, quella riuscita a Oper Unterwegs, una nuova compagnia viennese di teatro musicale che ha deciso di dedicare la sua ricerca artistica all’integrazione di spazio urbano ed estetica della percezione.